Herscheider Schulaufsätze aus den Jahren 1913-1915
Dem Heimatverein wurden im Jahr 2020 ein paar Schulhefte, aus alter Zeit überlassen. Bei näherem betrachten erkannte man, dass es sich um Aufsatzhefte handelte, in denen sich insgesamt 30 Aufsätze befinden. Teilweise werden allgemeine Themen behandelt wie beispielsweise „Was mir an dem Gedicht Sommernacht gefällt“ oder „Die Entstehung des Liedes Nun Danket alle Gott“. Einige der Aufsätze haben allerdings direkten Bezug zu Herscheid und geben ein Stück Heimatgeschichte wieder.
Geschrieben wurden die Aufsätze von der am achten Februar 1901 in Nieder Holte geborenen Adele Grüber. Adele besuchte die Schule im Dorf Herscheid und war, wie heute lebende Nachfahren berichten, sehr intelligent. Adeles Wunsch Lehrerin zu werden scheiterte an der Tatsache, dass die Eltern nicht die finanziellen Möglichkeiten hatten, um das damals noch übliche Schulgeld zu bezahlen So blieb dieser Berufswunsch nur ein Traum. Stattdessen lernte Adele Grüber später Hauswirtschaft in Bad Oeynhausen und heiratet 1929, den am siebten Januar 1900 zu Hervel geborenen Landwirt Karl Kellermann. Gemeinsam mit ihrem Ehemann führte sie die Pension „Sommerfrische Herfel“ die schon zuvor von Ihrem Schwiegervater Fritz Kellermann geführt wurde. 1988 starb Adele Kellermann, geborene Grüber, zwei Jahre nach ihrem Ehemann Karl. Ihre Aufsätze, die sie im Alter zwischen 12 und 14 Jahren geschrieben hat, und die im Haus der Familie Kellermann die Zeit überstanden haben bleiben jetzt im Spieker für die Nachwelt erhalten. Eine Auswahl daraus, wird an dieser Stelle veröffentlicht.


In dem ersten Aufsatz aus dieser Reihe mit dem Titel „Wie ich meiner Mutter im Haushalt helfe, beschreibt die 12 jährige, den damals typischen Tagesablauf eines Mädchens auf dem Land.
Herscheid, den 21.5.1913 Nr.4 Wie ich meiner Mutter im Haushalt helfe.
„Es gibt im Haus so viel zu tun den lieben langen Tag, die arme Mutter darf nicht ruhn, hat viele Müh und Plag“ so spricht der Dichter mit Recht. Deshalb muß ich meiner Mutter den Tag über fleißig helfen. Ich will hier einen Nachmittag beschreiben. Als ich aus dem Unterricht nach Hause kam, machte ich zunächst meine Schulaufgaben und trank Kaffee. Als ich damit fertig war, ging es ans Arbeiten. Ich räumte zunächst das Kaffeegeschirr vom Tisch. Danach fegte ich die Küche aus und schaffte überall Ordnung. Ferner mußte ich die Blumen begießen und an ein sonniges Fenster stellen. Als ich ein Weilchen draußen gewesen war und mich die Mutter wieder hereinrief mußte ich Kartoffeln schälen. Hierauf machte ich das Feuer an. Nachher mußte ich die Hühner und das Vieh füttern. Nachdem ich das alles getan hatte, fragte ich die Mutter, ob ich noch eine Zeitlang hinaus ins Freie gehen könnte. Sie willigte ein und mit Freuden lief ich hinaus um den schönen Frühlingsabend im Kreise meiner Freundinnen zu verleben.
Im September 1913 schreibt Adele Grüber den Aufsatz: „Unser diesjähriger Ausflug. Der Marsch zur Homert“ Darin erwähnt sie unter anderem den Trommler und Pfeiferkorps der aus Herscheider Schülern bestand. Über diese Schülerkapelle wurde an anderer Stelle wenige Tage vorher zum Sedantag berichtet. Ansonsten gibt es bisher keine weiteren Informationen dazu. Die junge Adele beschreibt in dem Bericht auch den Weg, den sie gewandert sind: „durchs Dorf bis zur Hardt und dann die schöne Landstraße nach Spielwigge“ Heute muss man sich vorstellen, dass sie mitten durch die damaligen Ortschaften gingen, die heute in der Versetalsperre versunken sind. Der 22 Meter Hohe Homertturm wurde 1894 erbaut und war demnach beim Besuch der Herscheider Kinder mit gerade mal 19 Jahren noch fast neu.
Herscheid, den 5.9.1913 Nr.10 Unser diesjähriger Ausflug.(Der Marsch bis zur Homert)
Als wir uns am vergangenen Donnerstag zu einem gemeinsamen Ausflug gerüstet hatten, ging es unter Trommelklang und Flötenspiel durchs Dorf bis zur Hardt. Morgens als wir aufbrachen lag ein dichter Nebel auf Wald und Flur. Die kühlen Morgenlüfte umwehten uns. Bald war der Nebel verschwunden und die Sonne leuchtete vom Himmel herab. Unser Weg führte durch schattige Laub und Nadelwälder. Ein köstlicher Tannenduft wehte uns entgegen. An den Gräsern, die am Wege standen blinkten die Tautröpfchen. Es war ein wunderschöner Herbstmorgen. Nachdem wir eine Weile auf der Chaussee weitergeschritten waren, stiegen wir einen steilen Weg hinan. Dort oben angelangt, setzten wir uns und frühstückten. Dann ging es die schöne Landstraße hinauf nach Spielwigge. Hier rasteten wir ein wenig. Kaum waren wir etwas weiter, da sahen wir von ferne unser Ziel, den Homertturm. Neuer Mut belebte uns alle und munter mit Spiel und Gesang marschierten wir die Höhe hinan. Es dauerte dann auch nicht lange, bis wir oben waren. Jetzt stiegen wir den Turm hinauf. Ein herrliches Bild bot sich uns oben auf dem Rundgang. Ringsumher grüne Laubwälder und düstere Tannen dazwischen. Kleine Dörfer von ihren Feldern umgeben. Im Osten lag die Stadt Lüdenscheid. Nachdem das Trommel und Flötenkorps einen Marsch auf dem Turm gespielt hatte, rasteten wir noch ein wenig um mit neuer Kraft unsere Reise fortzusetzen.


Auf die Herbstferien freuen sich heutzutage alle Schüler. Oft geht es dann mit den Eltern in Urlaub oder die schulfreien Wochen werden einfach mit Nichtstun, Ausschlafen, oder am PC und dem Fernseher verbracht. Vor gut 100 Jahren sah das alles etwas anders aus. Die Herbstferien wurden damals auch Kartoffelferien genannt. Was sich erst mal lustig anhört war für die Kinder von damals nicht Spaß sondern anstrengende Arbeit. Die Kartoffeln wurden früher per Hand aufgesammelt und dafür wurde jede Hilfe benötigt. Um bei der Ernte helfen zu können, bekamen die Kinder im Herbst Ferien, die auch mal verlängert wurden, wenn die Ernte nicht beendet wurde. Dabei verbrachten alle viele Stunden auf dem Feld und manche Kinder waren sicher froh, wenn die Herbstferien wieder vorbei waren. In ihrem Aufsatzheft beschreibt die 13jährige Adele Grüber aus Nieder-Holte, wie Sie einen Tag während der Kartoffelernte erlebte.
Herscheid, den 31.10.1913 Nr.12 Ein Tag aus der Kartoffelernte
Kartoffeln lesen, daß war wohl unsere Hauptbeschäftigung in den vergangenen Ferien. Mit Freuden begrüßten wir den Tag an dem dieselben begannen. Früh morgens um 7 Uhr zogen wir mit Körben und Karren auf das Feld. Kalt war es ja, jedoch was kümmerte uns das. Schnell lasen wir die Kartoffeln auf, die der Pflug zutage gefördert hatte. Darauf liefen wir so schnell wir konnten in den nahen Wald um die starren Glieder durch Laufen zu wärmen. Eben waren wir oben, da wurden wir gerufen, denn die Arbeit sollte wieder beginnen. Mit ziemlicher Geschwindigkeit ging´s den Acker hinunter. Eine Weile mußten wir noch die Hände regen bis es in den umliegenden Dörfern ½ 10 flötete. Nachdem wir gefrühstückt hatten, gingen wir wieder aufs Feld. Mittags wurde uns Kindern ein freies Stündchen gegönnt damit wir nachher mit neuer Kraft die Arbeit fortsetzen konnten. Schöne Späße fehlten freilich auch nicht. Der Kaffee schmeckte nach langer Arbeit vortrefflich, denn: Hunger ist der beste Koch. Schon war die Sonne hinter den Bergen versunken und es dämmerte bereits, als wir gingen. Jetzt konnten wir noch bis Eintritt der Dunkelheit fröhlich sein und ungestört unsere Spiele treiben.


Im Februar 1914, wenige Tage nach ihrem 13. Geburtstag schreibt Adele in der Schule einen Aufsatz der einen kleinen Einblick in das Familienleben der Grübers gewährt. Die Familie hat sich in der Stube, um den Ofen versammelt. Man erzählt Geschichten, singt Lieder und lauscht dem knisternden Holz im Ofen. Und Adele erwähnt einen Sorgenstuhl, der sich im Raum befindet und der anscheinend begehrt ist. Für diese Bezeichnung gibt es unterschiedliche Erklärungen. Zum einen wird der Sorgenstuhl als großer bequemer Lehnstuhl mit Rücken und Armlehne bezeichnet. Ein anderes Mal heißt es, dass er sei sehr bequem ist, um seinen Sorgen darin nachzuhängen. Auch in der Literatur wir der Sorgenstuhl häufiger erwähnt. Unter anderem in dem Text „Die Fliege“ von Wilhelm Busch in dem es heißt:… Und um sie sicher zu bekommen, hat er den Sorgenstuhl erklommen………….
Herscheid,den 19.2.1914 Nr.19 Eine liebe Ecke am Ofen
Wem gefällt wohl nicht ein behagliches Nestchen am warmen Ofen? Freilich nur im Winter, denn im Sommer würde es dort recht langweilig sein. Eine solche Stelle habe ich mir auch ausersehen, nämlich im Sorgenstuhl. Da sitzt man dann so schön am Warmen wenn es draußen schneit und friert. An den langen Abenden ergötzen wir uns an den Erzählungen unserer Eltern. Dazwischen ertönt das Knistern des Holzes. Zuweilen wird ermahnt „Nun Kinder , heizt mal tüchtig!“ Dann wird der Ofen vollgepfropft bis oben hin. Allerlei Scherze werden getrieben, Rätsel gelöst und fröhlich gesungen. Da wird einem die Zeit nicht lang. Aber es kommt doch vor, daß die Augen ermattet zufallen. Da wird geraten: „ Geh einmal an die frische Luft, da soll dir das Träumen schon vergehen.“ Und wirklich, hernach ist aller Schlaf verschwunden. Dann dauert es aber auch nicht mehr lange, bis das Abendessen verzehrt wird und dann ist die schöne Zeit im Sorgenstuhl vorbei. Ich kann zwar nicht immer denselben als Sitzgelegenheit benutzen, denn meist, wenn ich aufstehe um etwas zu besorgen, wird er fix besetzt und es heißt: „ Wer aufsteht, dessen Platz vergeht.
Im Juni des Jahres 1914 ist ein Ausflug zur Nordhelle das Thema des Aufsatzes von Adele Grüber. Hierbei scheint es sich um einen Familienausflug zu handeln, bei dem der Weg von Nieder-Holte zur Nordhelle führte. Adele berichtet, dass sie in der Ferne einen Nebelschleier sieht. Ein Typischer Anblick für das Ebbegebirge. Immer wieder schreiben Wanderer in ihren Berichten von dem Nebel im Ebbe. So nennt Adolf Göschel in einem Bericht im Jahr 1930 die Nordhelle „die ewig sonnenlose“ und fährt weiter fort: “Nur für einige Augenblicke bleibt er (der Gebirgszug) sichtbar, dann stürzen sich Wolken und Sprühregen in wütendem Chaos drüber weg. Ein gespenstisch brauendes Nebelkleid hebt und Senkt sich wieder, schlägt Falten und erstarrt schließlich zu einer regungslosen weißen Wand. Dahinter liegt Nordhellens Reich“.
Bei dem Turm, den Adele Grüber in ihrem Aufsatz erwähnt, handelt es sich natürlich um den Robert-Kolb-Turm der am 21 September 1913 eingeweiht wurde.
Herscheid, den 25.6.1914 Nr.5. Ein Ausflug nach der Nordhelle
Wenn die Sonne scheint und die Blumen blühen, dann erwacht in alt und jung die Wanderlust. So rüsteten wir uns auch eines Tages zu einem Spaziergang in die Berge. Immer abwechselnd ging es durch Wald und Feld. Hier und da tauchte eine Ortschaft aus dem Frühlingsgrün empor. Die Sonne brannte sengend vom Himmel herab aber in der Ferne war ein weißer Nebelschleier sichtbar. Nachdem wir eine Weile munter fortgeschritten waren, hatten wir den Abhang der Nordhelle erreicht. Mit frischem Mut und Gesang ging es die Höhe hinan. Von dem Turm aus war, wie uns gesagt wurde, nicht viel zu sehen denn ein leichter Nebel überzog die Gefilde. Als wir den Turm verlassen hatten, lagerten wir uns unterhalb desselben, um von dem langen Marsche auszuruhen. Dann ging es im Laufschritt den Abhang hinunter ohne Rücksicht auf den Weg. Wir wählten die Strecke Reblin-Herscheid als Heimweg. Langsamen Schrittes legten wir den Weg zurück und bald gelangten wir müde und doch frohen Mutes in die Heimat.


Adele Grüber gehörte der Generation an, die zwei Weltkriege miterleben musste. Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs war sie 14 Jahre alt und besuchte noch die Herscheider Dorfschule. Der Krieg begann am 28. Juli 1914, ausgelöst durch das Attentat von Sarajewo am 28 Juni 1914. Am 25 August schildert die junge Adele Grüber die Kriegsbegeisterung im kleinen Herscheid. Zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnend, wie viel Leid der erste große Krieg auch in zahlreiche Herscheider Familien bringen würde.
Herscheid, den 25.8.1914 Nr.6 Kriegsbegeisterung bei uns auf dem Lande.
Lange schon war er verkündet, der große Weltkrieg. Aber wer dachte daran, daß so etwas überhaupt kommen würde. Vor Wochen noch wähnte sich alles in tiefsten Frieden. Ein jeder ging seiner Arbeit nach; niemand dachte daß die friedliche Kulturarbeit so bald gestört würde. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf die Nachricht von Österreichs Kriegserklärung ein. Es dauerte nicht lange, da wurde die Mobilisierung angesagt. Auf den Straßen standen Leute, der eine redete dies, der andere das über die Lage. Anfänglich herrschte leiser Zweifel über den guten Ausgang des uns aufgezwungenen Krieges. Als es aber immer klarer wurde, daß es so kommen mußte, da war überall frohe Siegesstimmung. Froh und ohne Zagen folgten unsere Vaterlandsverteidiger dem Rufe der Fahne. In ihren Augen loderte das Feuer der Begeisterung. Wenn die Nachricht von einem neuen Siege kam, dann gab`s allemal Freude. In der Dorfkirche versammelten wir uns und dankten unserem Gott für seine Liebe, mit der er uns begleitete dadurch, daß er unseren Truppen den Sieg gegeben. Wie oft wird wohl in diesen Tagen „Lieb Vaterland magst ruhig sein!“ gesungen worden sein. Natürlich taten wir auch unser Teil dazu. Ob`s aber in Erfüllung gehen wird, das ist die Frage der Zukunft. Deshalb Mit Gott für König und Vaterland! Mit Gott für Deutschlands Größe, Ehre und Unabhängigkeit!
Der letzte Aufsatz den Adele Grüber am Ende ihrer Schulzeit schreibt, handelt von der bevorstehenden Veränderung in ihrem Leben. Dass ihr Wunsch, Lehrerin zu werden, nicht in Erfüllung gehen würde, war ihr zu diesem Zeitpunkt bekannt und so klingen die Worte der 14jährigen in diesem letzten Text auch ein wenig schwermütig. Wenige Tage später, am 28. März wurde Adele in der Herscheider Kirche konfirmiert. Dieser Tag galt früher als Einstieg in das Erwachsenenalter und bedeutete für die meisten Jugendlichen, dass sie am nächsten Tag den in das Berufsleben starteten. Für Adele folge zunächst eine Zeit auf dem elterlichen Hof in Nieder-Holte. Im Jahr 1928 war sie auf jedem Fall in Bad Oeynhausen in einer Haushaltsschule, denn in diesem Jahr hat sie, die dort erlernten Kochrezepte, in einem weiteren Schulheft aufgezeichnet.
Herscheid, den 15.03. 1915 Nr. 13 Am Wendepunkt meines Lebens
Der erste Lebensabschnitt unseres Daseins nähert sich seinem Ende. Die Zeit der sonnigen Kindertage entflieht. Wir treten in ein anderes Leben ein. Dunkel ist die Zukunft verhüllt. Die Schulzeit mit ihren Jugendfreuden verschwindet wie die aufsteigende Lerche im Himmelblau. Bisher standen wir unter der Obhut der Schule. Jetzt stellt das Leben seine Forderungen an uns. Wir wissen nicht, an welches Ufer uns die Woge des Schicksals trägt. Fahrt wohl ihr Träume der Jugend. Noch einmal wird die goldene Kinderzeit aufleuchten und dann auf Nimmerwiedersehen ins Meer der ewigen Dunkelheit versinken.
